Mittwoch, 2. Dezember 2015

Montag, der 2. Dezember 2013


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Über all dem hatte er bis jetzt vergessen, seinen Filmkalender zu aktualisieren. Man sah auf dem Kalenderblatt anläßlich des Todestages des Kostümdesigners Edward Stevensen (†1968) auf einem Still aus Out of the Past (1947) die verführerisch Robert Mitchum anschauende Jane Greer.*


* Des weiteren wurde des Todes von Marty Feldman, berühmt wegen seiner hervorstehenden Augen, gedacht (†1982) und des Todes des Komponisten Aaron Copland (†1990), Hans Köberlin erinnerte sich an die ELP-Versionen von Fanfare for the Common Man und Hoe-Down; geboren worden war 1892 der Regisseur John G. Blystone, was 1997 ein Filmstill mit einem wie stets stoisch dreinschauenden Buster Keaton und einer wunderschönen Nathalie Talmadge (Keatons Ehefrau) aus Our Hospitality (1923) veranlaßt hatte; und im vergangenen Jahr hatte man anläßlich Lucy Lius Geburtstag (*1968) ein Bild präsentiert, das zeigte, wie Uma Thurman in Leder und das Hattori-Hanzo-Schwert auf dem Rücken mit einer silbernen Pistole auf jemanden zielte. Das Still stammte natürlich – wem muß man das noch sagen?! – aus Tarantinos Meisterwerk Kill Bill (2003f.) und es war natürlich Bill (David Carradine, der sich bei riskanten Onaniertechniken in einem thailändischen Hotelkleiderschrank zu Tode stranguliert hatte …), auf den sie zielte. Kill Bill war der Auftakt zu Tarantinos kathartischer Vergeltungsreihe (»Revenge is a dish best served cold«, wurde einem als altes klingonisches Sprichwort serviert, der Spruch war aber älter; später sollte Hans Köberlin in The Interpreter (2005) hören, Rache sei eine feige Form der Trauer …), der er bis heute treu geblieben ist: hier und in dem Nachfolger Death Proof (2007) waren es Frauen, die es ihren Peinigern heimzahlten, dann in Inglourious Basterds (2009) die Juden den Nazis und schließlich in Django Unchained (2012) die Sklaven ihren Haltern. Was mochte wohl als nächstes kommen? Die Indianer? Was auch immer, es würde sicherlich grandios sein. Hans Köberlins Lieblingsfilm von Tarantino war sein klassischster, Jackie Brown (1997), nicht zuletzt wegen Pam Greer, und dann kam gleich Kill Bill, bei dem natürlich auch Truffauts La mariée était en noir (1968) Pate gestanden hatte. Es war einfach genial, wie Tarantino in Kill Bill die Linearität aufgebrochen hatte, da konnte man noch etwas von spannungsaufbauender Erzählstruktur lernen, nicht so langweilig wie das, was wir hier treiben, day by day … Die Searchers-Einstellung zu Beginn des zweiten Teils … Der Bräutigam von Beatrice (natürlich …: Dante) war eine Neuauflage des Protagonisten von True Romance (1993), der jetzt allerdings keine Chance mehr hatte … (vielleicht weil sein Autor es geschafft hatte und selbst einer der ganzen großen – ein »Bill« – geworden war?). Das denkwürdige Ende von Vol. 2: man brauchte keinen Vater, keinen bürgerlichen und keinen guten Vater, als der ja Bill am Ende gezeigt wurde … nein, es ging vielleicht nicht um den Vater, es ging um die Familie: Vater und Tochter: fein (erst einmal); Mutter und Tochter auch fein (auch erst einmal) … aber die Geschlechterdifferenz und das Kind … weil Paare nur noch bei Langweilern Bestand hatten? – Vol. 3, so wurde kolportiert, sollte noch folgen, und da fiel Hans Köberlin zum ersten Mal auf, daß im Abspann der Name der geblendeten Elle Driver nicht durchgestrichen, sondern mit einem Fragezeichen versehen worden war.
Später fanden wir noch folgenden Eintrag in Hans Köberlins Arbeitsjournal vom Freitag, dem 7. November 2003, den wir hier unkommentiert einfach so dahinstellen möchten: »›Wir hören im Haus die Tür schlagen und hören niemals akustische Empfindungen oder auch nur bloße Geräusche. Um ein reines Geräusch zu hören, müssen wir von den Dingen weghören, unser Ohr davon abziehen, das heißt abstrakt hören.‹ (Martin Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerks, Stuttgart 1960, S. 18.). Hier kommt die Neue Musik oder die musique concrète ins Spiel … Kann man das, was Claude Simon macht, abstrakt erzählen nennen? (Geht das überhaupt, ist das nicht ein Widerspruch in sich?) Diese Gegenüberstellung der Abstraktionen ›Duchamps – Kandinsky‹, über die ich letztens in einer alten Ausgabe des Merkur gelesen habe, läuft das auf so etwas hinaus? Reduktion auf die Farbe und die Form (Kandinsky) ist ja nur eine Spielart der Abstraktion, eine ›einfache‹ Abstraktion, wohingegen Duchamps? ›ready mades‹ komplexere Abstraktionen sind. Aufgabe der Kunst wäre dann vielleicht, die für den jeweiligen Zustand der Welt komplexeste Abstraktion zu finden. (Quentin Tarantinos Kill Bill als die komplexeste Abstraktion des Genrebegriffs, Godard als die komplexeste Abstraktion der Kunst ›Kinematographie‹ überhaupt …) Warum aber Abstraktion? (Weil die angestrebte vollkommene Sinnlichkeit ein Pendant braucht? – Keine Dichotomien mehr!) Abstraktion als Abstraktion des Denkens überhaupt – cogito ergo abstrahiere … Abstraktion als die vollkommene Sinnlichkeit des Denkens?«

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).