Montag, 22. Juni 2015

Sinn?

Die Frau: Am Ende des achten Gesangs der Odyssee gibt der König der Phäaken Alkinoos eine Antwort auf die Frage, warum ein Held all die Unbill ertragen muß. Und das kam so: Alkinoos sieht seinen Gast, dessen Identität er noch nicht kennt, erschüttert. Die Erschütterung rührt daher, daß Odysseus (…) mit seiner eigenen Geschichte konfrontiert wird, als während des Gastmahls der blinde Sänger Demodokos ein Epos vom trojanischen Krieg vorträgt. Der Held ist erschüttert, als er mitanhört, was er selbst doch miterlebt hat, es ist, als käme ihm jetzt erst zu Bewußtsein, was alles er da durchgemacht hat, vor Troja und wegen Troja. Daraufhin also Alkinoos …
Alkinoos, König der Phäaken: Sage mir auch, was weinst du, und warum trauerst du so herzlich, wenn du von der Achäer und Ilions Schicksale hörest? Dieses beschloß der Unsterblichen Rat und bestimmte der Menschen Untergang, daß er würd ein Gesang der Enkelgeschlechter.
Die Frau: Das Schicksal und die Widrigkeiten, die den Helden begegnen, werden dadurch motiviert, daß sie den späteren Generationen als Stoff für ihre Geschichten dienen können …
Der Mann: Homer war REALIST. (…)
Lionel Trilling: … die grausame Irrationalität der Bedingungen des menschlichen Lebens, die von einem Idioten erzählte Geschichte, die kindischen Götter, die uns nicht um der Strafe, sondern um des Zeitvertreibs willen martern …
Die Frau: Es ist klar, daß diese Erklärung auf Dauer nicht haltbar war. Denn die Motive lagen hier quasi außen …


* Hans Köberlin, »… schön ist das nicht …« oder: Apologie des Mysteriums; in: Arbeitsgruppe »menschen formen« (Hg.), Ver-Schiede der Kultur. Aufsätze zur Kippe kulturanthropologischen Nachdenkens, Marburg 2002, S. 271f.; siehe dort auch die Nachweise der im Hörstück eingefügten Zitate. Ein ähnliches Beispiel – nicht für die oben aufgezählten re-entries, sondern für den Hohn metaphysischer Instanzen – war natürlich noch die Geschichte Hiobs, dessen Leiden einzig einer Wette Jahwes mit seinem Widersacher entsprangen (siehe Hi 1.6ff.).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XII [Phase V – oder: Un gringo en Calpe], 10. Februar bis 6. März 2014).