Freitag, 6. März 2015

Über Hypothesen

Sie werden mir entgegnen, daß die Wirklichkeit nicht die geringste Verpflichtung hat, interessant zu sein. Ich werde dem entgegenhalten, daß zwar die Wirklichkeit sich dieser Verpflichtung entziehen kann, Hypothesen aber nicht. Bei der von Ihnen improvisierten ist zuviel Zufall im Spiel.

(Jorge Luis Borges, Der Tod und der Kompaß; in: Fiktionen; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 5, Frankfurt am Main 1992, S. 118).

Am Ende der Geschichte stellt sich dann freilich heraus: das Interessante ist in dem Fall ein Kind des Zufalls.

Ein Jubiläum

Nur nebenbei bemerkt (fast hätte ich es vergessen): gestern, am 5. März also, vor zehn Jahren bin ich mit der Unterstützung von M*** und seiner damaligen Freundin nach Berlin und dort in den Bergmann-Kiez gezogen.

Sie fuhren, als die endlich kam, mit der Stadtbahn eine Station weit in Richtung Osten, stiegen dort in die Untergrundbahn um und fuhren mit der noch einmal fünf Stationen, was dann relativ zügig ging (Ernst Bloch sah seinerzeit in jedem U eines Untergrundbahnschildes die Utopie). Dann führte der Busenfreund Clemens über eine große Kreuzung und durch zwei Seitenstraßen (an der einen Kreuzung stand auf einem beleuchteten und von dem Wappen einer Biersorte gerahmten Schild Zwinger – Eine Kneipe? – Nein, er werde lachen: ein Swinger Club!). Clemens dachte angesichts des Namensschildes der Straße, in der sich das Hotel befand, sie sei nach einem Mathematiker benannt, aber eine Notiz unter dem Namensschild klärte ihn auf, daß es jemand gewesen war, der sich große Verdienste um die Turnbewegung gemacht habe, aber nicht der Turnvater, gegen den übrigens E. T. A. Hoffmann, der hier um die Ecke begraben liege, in seiner Funktion als Richter ermittelt habe. Turner, Freikorpsmitglieder und Burschenschaftler – in einen Sack gestopft und mit dem Knüppel drauf: man traf immer den richtigen.
Das Hotel war ein Bed and Breakfast, der Busenfreund fragte sich, worin der Unterschied zu einem früheren Hotel garni genannten Etablissement bestand (…) Man trat ein und der Busenfreund erklärte der schönen Frau hinter dem Empfangstresen, was er unter welchem Namen und für wen – für diesen Herren da, sagte er – reserviert habe, Clemens erledigte mit Interesse schmalredend die Anmeldeformalitäten – Schön sei es geworden. Wurde ja auch Zeit. Alles sei bloß noch klamm gewesen. Im Keller habe man Champignons züchten können. Man habe schon Schwimmhäute zwischen den Zehen bekommen. Und hinter den Ohren habe sich bereits das Moos ausgebreitet, steuerte der Busenfreund aus dem Hintergrund bei – und die beiden folgten gleichen Blickes der schönen Frau zu dem Aufzug, das ewig Weibliche … Man fuhr in der engen Kabine eng aneinandergedrückt in die dritte Etage, hm, pure von Jil Sander, meinte Clemens, und erntete dafür ein wohlwollendes Lächeln der Frau und ein bewunderndes des Busenfreundes.
Das Zimmer ginge nach hinten raus, leider, es täte ihr leid, eines zur Straße hin sei nicht mehr frei gewesen, aber er werde morgen im Hellen sehen, daß der Blick angenehm und relativ weit sei. Sie übergab Clemens die Schlüssel, Frühstück gäbe es von sieben bis zehn unten, ob sie noch etwas für ihn tun könne, nein, log Clemens, sie wünschte ihm einen angenehmen Aufenthalt in der Hauptstadt und ging unter den Blicken der beiden hinaus.

(vgl. …du rissest dich denn ein., Berlin 2010, S. 432f.).

Ein Faß ohne Boden

Da waren drei verschiedene Dinge, die irgendwie außerhalb waren, aber doch eigentlich hineingehört hätten und erledigt werden wollten. Eines, das wichtigste, war ein Faß ohne Boden. Mit einem irrealen Gefühl erwacht.