Dienstag, 15. Dezember 2015

Sonntag, der 15. Dezember 2013


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Er frühstückte auf der anderen Dachterrasse, dann vertrieb ihn aber der Wind und er las – vor allem im Ulysses, wobei er fast alles um sich herum vergaß* – und schrieb im leeren Wintergarten, und er tat dies bis zum Abendessen.
Hans Köberlin hatte sich für heute eine Lubina gekauft. – Wir haben vor ein paar Tagen berichtet, wie die nonverbale Kommunikation mit dem Fischverkäufer ablief, damit der, glückte die nonverbale Kommunikation, das Tier bloß entschuppte und ausnahm, aber nicht auch enthauptete; nun, gestern, als Hans Köberlin die Lubina kaufte, da war eine Fischverkäuferin da, und ehe Hans Köberlin einschreiten konnte, hatte sie – schnipp! wie Philine** – mit ihrer großen Schere dem Fisch den Schwanz abgeschnitten … Nun ja: wie hätte man das, fragte sich Hans Köberlin, das, daß man das nicht wollte, auch auf schickliche Weise nonverbal kommunizieren sollen …? – Hans Köberlin konnte sich gut vorstellen, daß der Fischverkäufer vom Schwanzabschneiden nicht viel hielt, aber warum war er so darauf versessen, den Kopf abzuschneiden? Ein kleiner verhinderter Robespierre? Die Brüder hatten irgendwo berichtet, daß ihnen ein Seefahrer erzählt habe, auf seinem Schiff habe man während jener Jahre eine kleine Guillotine gehabt, um die Hühner zu köpfen …


* James Joyce, Ulysses, with an Introduction by Cedric Watts, London 2010, S. 146 …
Cityful passing away, other cityful coming, passing away too: other coming on, passing on. Houses, lines of houses, streets, miles of pavements, piledup bricks, stones. Changing hands. This owner, that. Landlord never dies they say. Other steps into his shoes when he gets his notice to quit. They buy the place up with gold and still they have all the gold. Swindle in it somewhere. Piled up in cities, worn away age after age. Pyramids in sand. Built on bread and onions. Slaves. Chinese wall. Babylon. Big stones left. Round towers. Rest rubble, sprawling suburbs, jerrybuilt, Kerwan’s mushroom houses, built of breeze. Shelter for the night.
No one is anything.
Der Punkt zwischen »Slaves« und »Chinese wall« ist von uns, wir folgen da Wollschläger, denn Goyerts »Sklaven chinesische Mauer.« klingt uns abstrus. – Jedenfalls, wenn Nabokov schrieb, der dem geistigen Mittelmaß zuzurechnende Bloom sei weniger künstlerisch veranlagt als Stephen, habe aber weit mehr vom Künstler an sich, als die Kritiker bemerkt hätten (vgl. Vladimir Nabokov, Die Kunst des Lesens. Meisterwerke der europäischen Literatur. Jane Austen – Charles Dickens – Gustave Flaubert – Robert Louis Stevenson – Marcel Proust – Franz Kafka – James Joyce, hrsg. von Fredson Bowers, Frankfurt am Main 1991, S. 355), so würde Hans Köberlin noch weitergehen: Mr Bloom war kein mittelmäßiger Geist, und was ihn von Stephen Dedalus unterschied, das war die Ausbildung. Und es ging auch eher um das Denken denn um die Kunst. Auf jeden Fall war Mr Bloom Hans Köberlins Mann. C. P. M’Coy sollte ihn im übernächsten Kapitel angesichts der Impertinenz Lenehans verteidigen: »He’s a cultured allroundman, Bloom is, he said seriously. He’s not one of your common or garden … you know … There’s a touch of the artist about old Bloom.« (dass., S. 211).
** Natürlich Goethens …
Philine brachte ein paar allerliebste Kinder mit und zeichnete sich, bei einer einfachen, sehr reizenden Kleidung, aus durch das Sonderbare, daß sie von blumig gesticktem Gürtel herab an langer silberner Kette eine mäßig große englische Schere trug, mit der sie manchmal, gleichsam als wollte sie ihrem Gespräch einigen Nachdruck geben, in die Luft schnitt und schnippte und durch einen solchen Akt die sämtlichen Anwesenden erheiterte; worauf denn bald die Frage folgte: ob es denn in einer so großen Familie nichts zuzuschneiden gebe?
Diese Domestizierung in Wilhelm Meisters Wanderjahre in ein Hausmütterchen, das hatte die sinnliche Philine der Lehrjahre
Nach einer kurzen Zeit (…) schlenderte Philine singend zur Haustüre heraus, setzte sich zu ihm, ja man dürfte beinahe sagen, auf ihn, so nahe rückte sie an ihn heran, lehnte sich auf seine Schultern, spielte mit seinen Locken, streichelte ihn und gab ihm die besten Worte von der Welt. Sie bat ihn, er möchte ja bleiben (…) Vergebens suchte er sie abzuweisen, ihr begreiflich zu machen, daß er länger weder bleiben könne noch dürfe. Sie ließ mit Bitten nicht ab, ja unvermutet schlang sie ihren Arm um seinen Hals und küßte ihn mit dem lebhaftesten Ausdrucke des Verlangens. »Sind Sie toll, Philine?«
nicht verdient.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

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