Montag, 30. November 2015

Samstag, der 30. November 2013


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Die Hans Köberlin noch unbekannten Wege führten ihn durch vollkommen menschenleere Gassen mit meist zur Zeit unbewohnten Häusern. Die Stimmung war seltsam …
»Wie in einem Film von Chabrol.«
»Oder von Haneke.«
»Oder von Seidel.«
… es gab keine Bars und keine Restaurants und keine Läden, nur diese Häuser, die so waren, wie das, in dem Hans Köberlin nun lebte, oder angenehm größer oder unangenehm größer und protziger, und er dachte, was laut Borges der Dichter Francisco López Merino am 20. Mai 1928 gedacht hatte.* Trotz des groben Stadtplans wußte er bald nicht mehr, wo er sich befand, beziehungsweise er hatte bloß eine ungefähre Ahnung, denn ganz verlorengehen konnte man angesichts des allesüberragenden Peñón de Ifach nicht. Hans Köberlin hielt sich in einer Richtung, die er für Südwesten hielt. Häufig endeten die Gassen als Sackgassen vor Haustoren und Hans Köberlin hatte bald genug von der Gegend, aber erst nach einer guten Weile stieß er auf eine größere Straße – der Avenida Jaume el Conqueridor –, auf der ab und an ein Auto fuhr und auf deren einem Bürgersteig eine Frau ging. Eine wohlproportionierte Frau in engen Jeans von hinten gehen zu sehen, das gehörte zu den, an der Anzahl aller gemessen doch eher wenigen Phänomenen, die die Schöpfung legitimieren konnten, und so folgte er ihr in einem gebührlichen Abstand, der das Ganze als zufällig erscheinen ließ.** Man kam an einem Campingplatz vorbei und Hans Köberlin sah endlich einmal die turmlose Kirche, deren Glocke er immer einmal wieder (und dies als angenehm empfindend) hörte. Es kamen auch die Errungenschaften der Zivilisation: Bars, Restaurants und ein Gartenmarkt, und zu Hans Köberlins Überraschung kam die Straße unten bei den beiden Supermärkten heraus und stieß auf einen Verkehrskreisel der Avenida Juan Carlos I. Die Frau vor ihm ging in den ›Mercadona‹, und Hans Köberlin, der nichts einzukaufen hatte und sich auch auf nichts einlassen wollte, ging weiter Richtung Strandpromenade.


* »Camina por la calle 49; piensa que nunca atravesará tal o cual zaguán lateral.« (Jorge Luis Borges, Mayo 20, 1928; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 12: Schatten und Tiger, Frankfurt am Main 1993, S. 30). »Nada en la tierra puede herirlo …« (ebd.), Borges’ Gedicht beschrieb sehr gut, was auch Hans Köberlin an einem bestimmten Punkt seines Daseins empfunden hatte.
** Unübertroffen der geniale Bruno Schulz: »Sie ging vor mir her und wandte sich – der magnetischen Wirkung ihrer spielenden Hüften sicher – überhaupt nicht um. Sie machte sich einen Spaß daraus, diesen Magnetismus noch zu verstärken, indem sie die Entfernung unserer Körper regulierte.« (Bruno Schulz, Gesammelte Werke in zwei Bänden, hrsg. von Mikolaj Dutsch und Jerzy Ficowski, München / Wien 1992, Bd. 1, S. 237). Wir wollten uns in Telos über diese schöne Beschreibung auslassen, kamen aber nicht mehr dazu (vgl. vom Verf. Telos oder Beiträge zu einer Mythologie des Clemens Limbularius. Fragment, Berlin 2013, S. 301). Und morgen sollte Hans Köberlin im Ulysses lesen: »Bloom pointed quickly. To catch up and walk behind her if she went slowly, behind her moving hams. Pleasant to see first thing in the morning.« (James Joyce, Ulysses, with an Introduction by Cedric Watts, London 2010, S. 52). Und Michel Houellebecq hatte in Soumission treffend über die Betrachtung von Frauenärschen geschrieben, es sein ein kleiner träumerischer Trost in dieser Welt (vgl. Michel Houellebecq, Die Unterwerfung, Köln 2015, S. 156).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

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