Donnerstag, 19. November 2015

Dienstag, der 19. November 2013


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… was ihn, Hans Köberlin, also da überkam, während das Meer rechterhand wild gegen die Felsen klatschte, das war wieder einmal die Empfindung einer Unwirklichkeit seines Seins hier.* Wirkliche gelassen aus sich kommende Gelassenheit war, wenn die Frau nicht da war, ein Ausnahmezustand hier, Ausnahmezustand wenn er nicht erkauft war durch exzessive passive und aktive Beschäftigung mit Literatur und dem intensiven Hören von Musik oder mit sanftem aber stetigem Konsum von Alkohol. Ansonsten: Rückzugsgefechte mit seiner Vergangenheit, emotionale Exaltiertheiten, irrationale, ja schier utopische Sehnsüchte (ein müßiges Leben mit der Frau hier in einem Modus wie in Mt 6.28 oder Lk 12.27 beschrieben) und – weil, wie Leibniz es treffend in seinen Nouveaux essais sur l’entendement humain formuliert hatte, die Gegenwart mit der Zukunft schwanger ging – Sorge ob der Zukunft, die ja nun plötzlich wieder da war und seinen Krafthorizont – Le Coucher du Soleil romantique – unwirksam machte …**


* Borges hatte über eine seiner Nebenfiguren geschrieben, er habe im Leben an Unwirklichkeit gelitten und sei als Toter nicht einmal das Gespenst, das er früher war, gewesen (vgl. Jorge Luis Borges, Fiktionen; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 5, Frankfurt am Main 1992, S. 18).
** Thomas Bernhard hatte in Der Atem. Eine Entscheidung geschrieben: »Zuerst hatte ich die Entscheidung treffen, dann die Erkenntnis anwenden und schließlich die Vernunft einsetzen müssen.« Die Reihenfolge ließ Hans Köberlin, nachdem er anläßlich einer anderen Recherche in seinem Arbeitsjournal unter dem Montag, dem 24. Dezember 2007, auf diese Anmerkung gestoßen, innehalten: die Vernunft kam erst am Ende zum Einsatz, die Entscheidung, weiter zu leben, war demnach keine rationale gewesen.
Worauf, hier bloß nebenbei bemerkt, Hans Köberlin beim Recherchieren in den Untiefen seines Arbeitsjournals noch stieß, das war auf eine Dokumentation seiner Reaktion auf die Reaktion zweier seiner Freunde auf seinen Roman: »Warum finden N*** und E*** meinen Anfang kompliziert? Ich referiere doch keine Systeme oder abstrakte Theorien. Ein Mann wichst in einen Fluß und denkt danach daran, was mit dem biblischen Wichser so los war … das ist doch nicht kompliziert! Oder davor die Gedanken zum Ursprung von allem, kein Einstein, kein Lucrez et cetera, bloß plattes Gerede.«

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

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